Interview mit Jana Pulkrabek (Co-Autorin & Produzentin)
SIE SIND AUCH CO-AUTORIN DES FILMS. WIE SIND SIE AUF DIE IDEE FÜR DAS KONZEPT VON FACTORY DROP GEKOMMEN?
Am Anfang stand der Anruf von Preslav Mantchev und seine Anfrage, ob wir Lust hätten, mit ihm und seiner Freien Tanzkompanie Kiel ein Tanzfilmprojekt zu realisieren. Er hatte eine sehr abstrakte Idee von isolierten Tänzer·innen in Einzelzellen, die ihren eigenen Tanzroutinen nachgehen. Da ich auf der Bühne schon öfter die Möglichkeit hatte, Tanz und Theater zusammenzubringen, war der Wunsch, Tanz endlich auch auf der Leinwand zu zeigen, schon länger da, und nun bot sich eine konkrete Möglichkeit.
Petja machte sich daran, eine Vision zu entwickeln und einen ersten Drehbuchentwurf zu schreiben. Dieser war noch viel stärker von der Corona-Zeit geprägt. Tänzer·innen, die sich aus isolierten Einzelzellen und Verstecken wagen, durch eine leere Stadt tanzen und, von Musik angelockt, auf einem Dach zusammenkommen und sich zum ersten Mal berühren. In den weiteren Fassungen wurde die Geschichte dann immer filmischer, und mit der Zeit konnten wir immer besser herausarbeiten, welche Themen wir transportieren wollten und durch welche Bilder sie sich am stärksten erzählen lassen.
Die Geschichte und das ursprüngliche Drehbuch stammen von Petja. Als Produzentin und Co- Autorin orientiere ich mich an seiner Idee, die wir dann gemeinsam weiterentwickeln und überarbeiten. Zwischendurch schreibe ich die Fassungen auch nach meinen Vorschlägen und Korrekturen um, was Petja wiederum dazu anregt, eine neue Fassung zu schreiben, die diese Impulse aufnimmt. Außerdem haben wir uns von den Rückmeldungen und Ideen der Freien Tanzkompanie Kiel leiten lassen, denn der Tanz soll sich ja organisch aus der Geschichte entwickeln. Auch wenn unsere Welt der Zweiklassengesellschaft sehr dystopisch überzeichnet ist, sind die Anfänge auch bei uns bereits spürbar. Gerade in dieser Woche hatte ich mehrere Gespräche darüber, wie klassenorientiert sich unser Gesundheitssystem entwickelt. Während Kassenpatienten leider oft kaum noch Termine für Vorsorgeuntersuchungen bekommen, werden Privatversicherte oft unnötig behandelt. Das ist ein ähnliches Szenario.
WAS WAREN DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN FÜR SIE ALS PRODUZENTIN WÄHREND DER DREHARBEITEN?
Obwohl wir für Factory Drop dank unserer Förderer ein für einen Kurzfilm eigentlich gutes Budget zur Verfügung hatten, war die Umsetzung der Vision sehr anspruchsvoll. Insofern war das Budget insgesamt doch sehr knapp, und alle Abteilungen haben förmlich gezaubert, um ihre Bereiche so großartig umzusetzen. Es ist ein ziemlicher Balanceakt und immer wieder eine Herausforderung für alle, mit wenig Budget zu arbeiten. Umso wichtiger ist es, die Stimmung im Team hochzuhalten. Ein stehengebliebener Aufzug in einem 13-stöckigen Gebäude kann da schon vieles ins Wanken bringen.
Am erst rsten Drehtag kam früh morgens der Anruf unserer Kostümbildnerin, dass sie positiv auf Covid getestet wurde und somit für den gesamten Dreh ausfällt. Gott sei Dank blieben die Infektionen aus und als zwei Drittel des Films im Kasten waren, atmete ich zum ersten Mal richtig durch. Der Nachtdreh auf dem Hochhaus- oder Silodach bei eisigem Wind und Regen war auch eine Nummer für sich. Unfälle bei Dreharbeiten können passieren, also habe ich drei Kreuze gemacht, als wir das überstanden hatten. Insgesamt gab es während der Dreharbeiten ziemlich viele Herausforderungen, aber dann auch wieder unschlagbar schöne Momente. Der ausgestopfte Hirsch, der es nicht bis zum Set geschafft hat, weil er nicht in den Aufzug passte und uns jeden Morgen am Siloeingang begrüßte, war Kult.
DIE AUSWAHL DER SCHAUSPIELER·INNEN IST ENTSCHEIDEND FÜR DEN ERFOLG EINES FILMS. WIE HABEN SIE IHR FÜR DEN FILM GECASTET, WAS WAR DABEI WICHTIG?
Während der Drehbuchbesprechungen machte Petja den Vorschlag, die beiden Hauptrollen Mia und Juri mit den Choreograf·innen der Freien Tanzkompanie Kiel Anne-Marie Warburton und Preslav Mantchev zu besetzen. Optisch konnten wir uns das gut vorstellen und fanden es auch eine schöne Möglichkeit, die beiden so intensiv wie möglich in das Projekt einzubinden. Trotzdem ist es immer auch ein Risiko, eine Rolle nicht mit kamerageübten Schauspieler·inen zu besetzen. Das Vertrauen hat sich gelohnt, und die Performance hat uns völlig umgehauen. Bei der Besetzung der Oberklasse wollte ich von Anfang an keine Statisten, sondern Persönlichkeiten. Durch unsere langjährige, spartenübergreifende Festival- und Kulturarbeit haben wir ein tolles Netzwerk an internationalen Künstler·innen. Alle, die ich angefragt hatte, waren sofort Feuer und Flamme, beim Dreh mit dabei zu sein. Unsere Crème de la Crème ist unter anderem aus Hamburg, Kopenhagen und Malmö angereist. Darunter Lars Junggreen, einer der bekanntesten dänischen Theaterschauspieler oder Mashti Mads Nordheim, Komponist und DJ aus Kopenhagen mit seinem Bremer Musikerkollegen Peter Musebrink, auch bekannt als Deep Dive Corp. Aus Hamburg waren u.a. die internationalen Musiker·innen Anri Coza und Marshall Titus dabei, dann aber auch wieder jemand wie Prof. Peter Nebel, seinerzeit dreimal in Folge zum Hamburger Pressesprecher des Jahres gewählt. Als Schauspielerin habe ich mich natürlich auch sehr gefreut. Das war ein ganz besonderer Tag und ich freue mich, dass alle für einen kurzen Auftritt in unserem Film mitgemacht haben.
WELCHE REAKTIONEN ERHOFFEN SIE SICH VOM PUBLIKUM UND WELCHE DISKUSSIONEN MÖCHTEN SIE ANREGEN?
Das Kino, die große Leinwand, steht für ein sinnliches Erlebnis. Bilder und Ton müssen ausdrucksstark sein und die Zuschauenden im Idealfall mit allen Sinnen die Welt spüren lassen, in die sie entführt werden. Nach einem tollen Film haben die Leute meiner Erfahrung nach das Bedürfnis, sich darüber auszutauschen.
Ich glaube, die wichtigste Frage ist, wo wir uns als Gesellschaft in der Zukunft sehen und wie wir damit umgehen wollen. Factory Drop stellt sehr zeitgemäße Fragen: Wie sieht die Außenwelt im Jahr 2118 aus, wie und wo lebt und überlebt der Mensch, welche Ressourcen gibt es noch, was genau ist der Mensch physisch und wie sieht die Gesellschaft aus? Das Leben in Factory Drop ist eigentlich kein unrealistisches Szenario: Eine kleine Gruppe von Privilegierten, die sich ihren Wohlstand durch Unterdrückung und auf Kosten einer benachteiligten Schicht ermöglicht, auf einem Planeten, der sich deutlich verändert hat. Aber auch hier, in der oberen Etage, bröckelt die Fassade, der Schein des Luxus, an allen Ecken und Enden. In Wirklichkeit ist diese Klasse nur noch eine Karikatur ihrer selbst und die Bewohner·innen der Factory eine vom Aussterben bedrohte Rasse.