Interview mit Petja Pulkrabek (Buch & Regie)
WAS HAT SIE ZU FACTORY DROP INSPIRIERT?
Factory Drop wurde von verschiedenen Quellen inspiriert. Zum einen fasziniert mich seit meiner Kindheit das Science-Fiction-Kino der 1970- und 1980er-Jahre mit seinen düsteren und expressiven Visionen der Zukunft. Diese Ästhetik und Atmosphäre wollte ich in meinem Film einfangen. Darüber hinaus haben mich Stummfilmklassiker wie Modern Times oder Metropolis inspiriert. Ich liebe Stummfilme und von Anfang an war es mein Ziel, einen Film ohne Dialog zu schaffen. Einer meiner Lieblingsfilme ist Kubricks 2001: A Space Odyssey, der mit seiner reduzierten Dialogmenge und starken visuellen Darstellung für mich zu den bedeutendsten Filmen aller Zeiten gehört. Mich faszinieren Filme, die mehr durch ihre Stimmung und filmische Inszenierung wirken, als durch Worte. Weitere filmische Vorbilder für Factory Drop waren hier Snow Piercer und visuell auch sehr Brazil von Terry Gilliam. Einer meiner Lieblingsfilme ist Dancer in the Dark von Lars von Trier. Dass Factory Drop Elemente des Tanzfilmes in sich trägt, hat sicherlich damit zu tun. Eigentlich bin ich kein Musical- oder Tanzfilm-Fan aber Dancer in the Dark hat mich schon immer tief berührt und inspiriert.
WELCHE ZENTRALEN THEMEN MÖCHTEN SIE MIT DIESEM KURZFILM ANSPRECHEN?
Ursprünglich kam die Idee zu diesem Kurzfilm während des Corona–Lockdowns. Zu dieser Zeit waren wir ja alle stark eingeschränkt, und es fiel schwer, sich zu treffen, gemeinsam Spaß zu haben oder ins Kino, auf Konzerte oder zum Tanzen zu gehen. Der Verlust von Kunst und Kultur hat mich in dieser Zeit sehr beschäftigt. Ich musste oft an filmische Dystopien wie 1984 denken, in denen die Menschen in ihrer Freiheit beraubt sind. Und so entwickelte sich für mich die Geschichte von Factory Drop als eine düstere Zukunftsvision.
Der gesamte Film spielt in einem Hochhaus mit mehreren Etagen. Unten schuften die Arbeiter·innen und stellen Diamanten her. Emotionen sind hier nicht erlaubt und werden streng überwacht. In den oberen Etagen des Gebäudes lebt eine dekadente Oberschicht, die auf Kosten der Arbeiter·innen ein luxuriöses Leben führt. Das gesamte Haus ist über Rohre miteinander verbunden und so geschieht es eines Tages, dass eine musikalische Spieluhr aus der Oberschicht in der Unterschicht landet und die Arbeiter·innen das erste Mal das Wunder der Musik und des Tanzes für sich entdecken. Obwohl der Film in eine fiktive und expressiv dargestellte Welt entführt, spiegelt er die traurige Tatsache wider, dass wir in einer gespaltenen Welt leben. Man kennt die Zahlen von den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung, die fast das gesamte Weltvermögen besitzen.
WELCHE BESONDEREN FILMISCHEN TECHNIKEN ODER STILE HABEN SIE VERWENDET, UM DIE ATMOSPHÄRE UND STIMMUNG DER ZUKÜNFTIGEN WELT IN FACTORY DROP ZU ERZEUGEN?
Während der Vorbereitungen für unseren Kurzfilm haben mir viele dazu geraten, den Film mithilfe von Greenscreen oder LED-Leinwänden im Studio zu drehen, wie es mittlerweile im Science-Fiction- Bereich üblich ist. Ich hatte eigentlich nie vor, das zu tun, aber irgendwann haben wir bemerkt, dass die Welt, die wir erschaffen wollen, vielleicht doch zu kompliziert und aufwendig für reale Nachbauten ist. Zudem hatten wir enorme Probleme, die passenden Räumlichkeiten zu finden, um diese Welt zu präsentieren. Es war ein unglaublicher Glücksfall, dass der Szenenbildner Dennis Stöcker dann zum Team stieß. Er hat den geeignete Drehort gefunden, und gemeinsam mit der Szenenbildnerin Lena Schønemann eine beeindruckende Science-Fiction-Welt erschaffen - und das alles ohne Greenscreen, LED-Bildschirme oder Studios. Das war ein enormer Gewinn für den Film. Es fühlt sich für alle Beteiligten einfach ganz anders an, wenn man bei den Dreharbeiten in einer realen Umgebung, also sozusagen in der Filmwelt ist.
Der erste Drehtag war für mich ein Erlebnis, das ich niemals vergessen werde. Das Team hat bereits vor Drehbeginn an unserer Hauptlocation sehr viel gebaut und gebastelt. Alle waren unglaublich kreativ. Zu dieser Zeit lag ich noch mit einer Grippe im Bett und habe immer nur gehofft, dass ich rechtzeitig zu den Dreharbeiten fit werde. Wir konnten den Drehstart nicht verschieben, und gleichzeitig wollte ich dem Team nicht sagen, dass ich krank bin, um Unruhe zu vermeiden. Zum Glück habe ich es dann doch noch rechtzeitig wieder auf die Beine geschafft, und als ich am Set dieses unfassbare Szenario aus Bauten, Requisiten, Beleuchtung, Kostümen und Maske gesehen habe, war ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Die umgesetzte Vision dieses Films ist ein enormer Verdienst eines unglaublichen Teams. Wir hatten das große Glück, eine der besten Kamerafrauen Deutschlands mit an Bord zu haben – Monika Plura. Und Monika war bei den Dreharbeiten übrigens im siebten Monat schwanger und hatte trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - eine enorme Energie. Gemeinsam mit Tobias Meik haben die beiden unglaublich ausdrucksstarke Bilder kreiert, die das besonders stimmungsvolle Lichtdesign von Michael "Muck" Kremtz ideal einfangen.
WIE HABEN SIE IM FILM DIE BALANCE ZWISCHEN UNTERHALTUNG UND DER VERMITTLUNG VON SOZIALEN GEFUNDEN?
Ich wollte durch einzigartige Bilder eine fesselnde Geschichte erzählen, die die Zuschauenden in eine andere Welt entführen und berühren. Die im Film behandelten Themen sind mir persönlich sehr wichtig. Beim Schreiben habe ich bewusst versucht, nicht nur rational, sondern vor allem emotional zu sein. Mein Ziel war es, meine eigenen Gefühle durch diesen Film zu vermitteln.
Der Film thematisiert sozialen Ungerechtigkeit. Es ist frustrierend, wie hart einige Menschen arbeiten und sich abmühen, während andere auf dem Rücken Dritter ein sorgenfreies Leben führen. Die Tatsache, dass wir unseren westlichen Wohlstand auch auf Kosten der Schwächeren leben, ist eine schmerzliche Realität.
Darüber hinaus geht es in diesem Film um das Gefühl, dass Emotionen, Kunst, Musik und Tanz für uns als Menschen essenziell sind und niemals unterdrückt werden sollten. Diese kreativen Ausdrucksformen haben eine transformative Kraft und können uns Hoffnung und Licht in einer düsteren Welt schenken. Selbst inmitten der Dunkelheit gibt es immer einen Funken Hoffnung.
Photo by: Filip Misiak Orestes